Die evangelische Kirche in Dortelweil mit ihren künstlerischen Glaubenszeugen
Quelle: Walter Heil aus der Festschrift 1200 Jahre Dortelweil (in Auszügen)
Am Rande des großen Verkehrs, der Bundesstraße 3 und der Main-Weser-Bahn, liegt ein ruhiger friedlicher Flecken - Dortelweil. Die Krone des Dorfes ist die evangelische Kirche. Im alten Ortskern gelegen, auf einer erhöhten Position, umgeben mit hohen Bäumen und einem alten ehrwürdigen Friedhof mit der wehrhaften Mauer, grüßt sie weit hinweg über die nahe Niddaschleife, Felder und Wiesen. Mit dem barocken Dachreiter ist sie so zum beherrschenden Wahrzeichen des Ortes geworden.
Die Kirche, sie steht in Ost-West-Richtung, stammt noch aus der mittelalterlichen Zeit und musste sich im Verlaufe der folgenden Jahrhunderte einige Veränderungen gefallen lassen. Was baufällig geworden oder durch Kriege vernichtet war, wurde nicht in der alten Form, sondern im jeweiligen Zeitstil ergänzt.
Die heutige Ausstattung des Innern erfolgte 1823/25 in einfacher klassizistischer Art. Diese Stilform, in Frankreich Empire genannt, löste Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts Rokoko ab und bedeutete eine Rückkehr und Wiederanlehnung zu altklassischen, griechischen Kunstidealen. Ein Blick in das Kircheninnere überzeugt uns von einer ruhigen klassischen Gliederung. Altar und Orgel, Emporen mit Kanzel und Gestühl bilden eine harmonische, ausgewogene Einheit.
Die Reformationslehre rückte die Predigt in den Mittelpunkt des Gottesdienstes. In den oberhessischen Kirchengebäuden machte sich zu jener Zeit mit Zunahme der Christen immer mehr ein Raummangel bemerkbar. Um zusätzlichen Platz und Sitzgelegenheiten zu gewinnen, baute man allenthalben in den Kirchen hölzerne Emporen an. Das trifft auch bei dieser Kirche zu, dann an drei Seiten sind Emporen errichtet, nur die Südseite blieb frei. Für die Ausgestaltung der Brüstungsfelder boten sich geradezu die zahlreichen Flächen zur Bemalung an. Volkstümliche Malereien passten in die kleinen Dorfkirchen. Sie waren entweder ornamental oder figürlich. Vor der letzten Bemalung wird die Brüstung in echt bäuerlicher Weise mit Ranken, Blüten und Früchten verziert gewesen sein.
Die heutigen Malereien, von dem Darmstädter Kirchenmaler Hermann Velte sen., stammen aus dem Jahre 1934. Velte hat das Thema der alten Tradition wieder aufgegriffen. Die Kassetten der Emporen zeigen ein Südtiroler Weinlaubmuster in verschiedenen Abwandlungen mit Rankenwerk und Früchten. Von dem Sohn, dem Kirchenmaler Velte jun., wurden sie 1967 wieder aufgefrischt. Ebenfalls von diesen Künstlern stammt die Inschrift an den beiden Seitenemporen: ALSO HAT GOTT DIE WELT GELIEBT, DASS ER SEINEN EINGEBORENEN SOHN GAB, AUF DASS ALLE, DIE AN IHN GLAUBEN, NICHT VERLOREN WERDEN, SONDERN DAS EWIGE LEBEN HABEN - SELIG SIND, DIE GOTTES WORT HÖREN UND BEWAHREN. (EV. JOH. KAP. 3/16 UND EV. LUC 11/28).
Im dreißigjährigen Krieg ist die hiesige Kirche wahrscheinlich zerstört worden, denn nach der Chronik war sie 1699 wieder hergestellt und neu geweiht worden. Die Kanzel, im Renaissancestil gehalten, kam als Stiftung aus der an der Hauptwache zu Frankfurt/M. gelegenen und 1681 umgebauten St. Katharinenkirche nach Dortelweil. Mit ihrem Treppenaufgang, der erhöhten Brüstung und dem Schalldeckel fügt sich der Ort der Verkündigung gut in das Gesamtbild ein.
Nahe der Kanzel, an der freien Südwand, hängt ein lebensgroßes Kruzifix; vielleicht ist dieses auch eine Stiftung aus jener Zeit. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass es gar schon aus der alten Kirche vor ihrer Zerstörung hinübergerettet worden ist. Zu dem Kreuz gehörten auch noch größere holzgeschnitzte Figuren, wahrscheinlich Maria und Johannes, die leider später verkauft wurden. Das Kruzifix mit den dazugehörigen Gestalten könnte zu dem Altar im Chorraum der ursprünglichen Kirche gehört haben. Heute hängen zu beiden Seiten des Kreuzes Gedenktafeln mit den Namen der Opfer beider Weltkriege (1914-18 hatte die Gemeinde 17 und 1939-45 75 gefallene Soldaten zu beklagen).
Prunkstück der Kirche ist die Orgel. Die Vorderseite, das sogenannte Prospekt, zeigt die sichtbaren Pfeifen und das schmückende Holzwerk. Die Säulenform (erinnernd an einen griechischen Tempel) ist betont. Drei halbrunde Säulen steigen unmittelbar von der Grundfläche, der Basis, auf, die Pfeifen täuschen die Längsfurchen einer Säule vor. Die mittlere Säule erhebt den "Herrschaftsanspruch" mit den stärksten Pfeifen. Die flankierende linke und rechte Partie ist mit eingeschlossen. Die kleineren Pfeifen sind zurückgedrängt. Verbunden mit einem Querband laden die Säulen oben zu den Kapitellen aus, die wiederum durch verschnörkelte Voluten (Schneckenglieder) zusammengehalten werden. Begrenzung und Abschluss nach oben bilden die drei vergoldeten Kranzgesimse. Die Holzdecke mit ihrem gradlinigen Verlauf und ihrer Längsstruktur strebt perspektivisch der Orgel zu, der breitere Mittelbalken bestärkt noch die Gesamtwirkung.
Hier wurde eine wohltuende Atmosphäre geschaffen, die Ruhe ausstrahlt und jeden Besucher beglückt. Das Gesicht der Orgel entfaltet nicht nur ihre dekorative Pracht, sondern lässt mit ihren 670 Pfeifen (110 aus Holz und 560 aus Zinnlegierung) die Klangwelt einer längst vergangenen Zeit fast unverändert lebendig werden. Der optische Eindruck wird durch den akustischen ergänzt, das Bild durch den vollen Klang. So schließt sich der Kreis der Harmonie mit den farblichen Abstufungen von Gestühl, Emporen, Altar, Kanzel und Orgel.
Die Verheißung der Geburt Christi
Die beiden geschnitzten Holzfiguren an der Innenrückwand der Kirche stellen den Erzengel Gabriel bei der Verkündigung der Geburt des Heilandes an die Jungfrau Maria dar. Sie sind originalgetreue Kopien der beiden Figuren aus dem 15. Jahrhundert in der gotischen Stadtpfarrkirche (auch Apostelkirche) in Klausen/Südtirol, wahrscheinlich von Leonhard von Brixen geschaffen. Diese Bildwerke gefielen dem Pfarrer-Ehepaar Walther und Marianne Greiff so gut, dass sie dem Bildschnitzkünstler David Moroder aus St. Ulrich in Südtirol den Auftrag zur Nachbildung erteilten und diese Kopien aus Anlass ihrer Verabschiedung nach fast vierzigjährigem Leben und Wirken 1974 der evangelischen Kirchengemeinde in Dortelweil gestiftet haben.
Die Kreuzabnahme
Das große Ölgemälde "Kreuzabnahme Christi", Originalbild aus der Schule des berühmten holländischen Künstlers van Dyck, ist eine Stiftung des Frankfurter Rechtsanwaltes Dietz in Erinnerung an seinen Vorfahren, der in Dortelweil die Pfarrstelle innehatte. Anton von Dyck, geboren 1599 in Antwerpen, suchte seine künstlerische Vollendung in der Schule des Peter Paul Rubens. Er war sein Haupt- und Lieblingsschüler, so dass der Meister ihn bald bei der Ausführung seiner großen Arbeiten beteiligen konnte.
Brustbild Jesu "Salvator Mundi"
An der linken Seitenwand, nahe des Altares, erstrahlt ein bedeutendes Bild: Christus der Auferstandene - Salvator Mundi (Heiland - Retter der Welt). Diesen Namen trägt es in der Kunstgeschichte. Es ist eine Stiftung der Freifrau von Holzhausen, der früheren Besitzerin des Holzhausen-Hofes (ehemaliger Jehner´scher Gutshof in der Obergasse) und eine Kopie des flämischen Males Quentin Massys, der von 1466 - 1530 in Antwerpen lebte. Das Original hängt im Louvre in Paris.
Eindringlicher als gesprochene und geschriebene Worte es vermögen, reden fast alle Gebilde hoher Kunst aller Länder und Jahrhunderte von Christi Menschwerdung bis in den Tod hinein, bis zur Auferstehung, wie ein Gott die Menschheit liebte, für sie litt und sie erlöste, das künden sie alle in ihrer Vollendung. Einen kleinen Beitrag zu dieser Aussage leistet die Kirche in Dortelweil.
- Alles zur Ehre Gottes -